Flüchtlingsbürgschaften: Verwaltungsgericht Hannover gibt Helfern Recht (nicht rechtskräftig!)

https://www.verwaltungsgericht-hannover.niedersachsen.de/aktuelles/pressemitteilungen/klaeger-obsiegt-im-streit-um-inanspruchnahme-aus-verpflichtungserklaerung-164068.html:

Kläger obsiegt im Streit um Inanspruchnahme aus Verpflichtungserklärung

Verpflichtungserklärung endet mit Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wegen zwischenzeitlicher Flüchtlingsanerkennung

Die 12. Kammer des Verwaltungsgerichts Hannover hat am 27. April 2018 entschieden, dass eine gegenüber einer nds. Ausländerbehörde für eine im Rahmen der Aufnahmeanordnung des Nds. Innenministeriums vom 3. März 2014 für eine Syrerin abgegebene Verpflichtungserklärung in dem Zeitpunkt endet, in dem diese eine Aufenthaltserlaubnis aufgrund ihrer zwischenzeitlichen Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erhält. Der Kläger kann für Sozialleistungen, die danach an seine syrische Schwester erbracht wurden, nicht zur Erstattung herangezogen werden. Vielmehr musste die Ausländerbehörde die Verpflichtungserklärung dahingehend verstehen, dass sie nur bis zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auf einer anderen Rechtsgrundlage – hier gemäß § 25 Abs. 2 AufenthG – gilt. Auch das Nds. Innenministeriums war in mehreren, an die Ausländerbehörden adressierten Erlassen davon ausgegangen, dass die Verpflichtungserklärung zu diesem Zeitpunkt endet.

Die 12. Kammer hat die Berufung zugelassen.

Bitte beachten:
https://www.bverwg.de/pm/2017/3:

Das Bundesverwaltungsgericht

https://www.bverwg.de/pm/2017/3:

Pressemitteilung Nr. 3/2017 vom 30.01.2017

Verpflichtungsgeber haftet für die Lebensunterhaltskosten von Bürgerkriegsflüchtlingen auch nach Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft

Das Aufenthaltsgesetz ermöglicht die Einreise von Ausländern, bei denen sich ein Dritter verpflichtet hat, die Kosten des Lebensunterhalts zu tragen (§ 68 Aufenthaltsgesetz – AufenthG). Wird eine solche Verpflichtungserklärung zur Ermöglichung der Einreise syrischer Bürgerkriegsflüchtlinge im Rahmen einer Landesaufnahmeanordnung und damit zu einem humanitären Schutzzweck abgegeben, führt die Anerkennung als Flüchtling unter Erteilung einer entsprechenden Aufenthaltserlaubnis nicht zu einem anderen Aufenthaltszweck und verpflichtet weiterhin zur Erstattung von Sozialleistungen, die Begünstigte in der Folgezeit bezogen haben. Das hat der 1. Revisionssenat des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig entschieden.

 

Die Kläger sind die Erben eines in Deutschland lebenden syrischen Staatsangehörigen, der sich durch Unterzeichnung formularmäßiger Erklärungen verpflichtet hatte, für den Lebensunterhalt seiner Nichte, ihres Ehemannes und deren Kindes „bis zur Beendigung des Aufenthalts … oder bis zur Erteilung eines Aufenthaltstitels zu einem anderen Aufenthaltszweck“ aufzukommen. Dies sollte deren Einreise ermöglichen. Die Verwandten reisten im Juni 2014 mit einem Visum aus Syrien in das Bundesgebiet ein und erhielten Aufenthaltserlaubnisse nach § 23 Abs. 1 AufenthG in Verbindung mit der Aufnahmeanordnung des Ministeriums für Inneres und Kommunales Nordrhein-Westfalen betreffend syrische Bürgerkriegsflüchtlinge. Im Dezember 2014 erkannte ihnen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auf die von ihnen gestellten Asylanträge die Flüchtlingseigenschaft zu. Das beklagte Jobcenter forderte mit Leistungsbescheid vom 3. September 2015 von dem Verpflichtungsgeber die Erstattung von 8.832,75 Euro, die es für seine drei Verwandten im Zeitraum vom 11. Februar 2015 bis 31. August 2015 nach dem SGB II aufgewendet hatte. Das Verwaltungsgericht hat die Klage gegen den Erstattungsbescheid abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Revision hatte keinen Erfolg.

 

Der 1. Revisionssenat stützt seine Entscheidung darauf, dass die nach der Flüchtlingsanerkennung erteilten Aufenthaltserlaubnisse gemäß § 25 Abs. 2 AufenthG nicht zu einem „anderen Aufenthaltszweck“ erteilt worden sind. Dies ergibt sich zwar nicht schon aus § 68 Abs. 1 Satz 4 AufenthG, der seit August 2016 ein Erlöschen der Verpflichtungserklärung in diesen Fällen ausdrücklich ausschließt. Denn diese Vorschrift ist auf den Streitfall noch nicht anwendbar. „Aufenthaltszweck“ im Sinne der abgegebenen Verpflichtungserklärung ist indes in einem weiteren Sinne zu verstehen und nicht notwendig auf den jeweiligen „Aufenthaltstitel“ beschränkt. Die durch die Verpflichtungserklärung ermöglichte Aufenthaltserlaubnis nach § 23 AufenthG hat mit dem Schutz vor den bürgerkriegsbedingten Lebensverhältnissen in Syrien ebenso humanitären Schutzzwecken gedient wie die der Gewährung internationalen Schutzes durch Flüchtlingsanerkennung nachfolgende Aufenthaltserlaubnis. Im Rahmen der Verpflichtungserklärung ist für die Zuordnung eines Sachverhalts zu einem „Aufenthaltszweck“ im Ansatz von den verschiedenen Abschnitten des Kapitels II des Aufenthaltsgesetzes auszugehen. „Aufenthaltszweck“ im Sinne der Verpflichtungserklärung umfasst daher jeden Aufenthalt aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen, wie sie – unter dieser Überschrift – vom Gesetzgeber im Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes zusammengefasst sind. Die Unterschiede der einzelnen Aufenthaltserlaubnisse bei den Gewährungsvoraussetzungen und den Rechtsfolgen verändern hier qualitativ nicht den gemeinsamen, übergreifenden Aufenthaltszweck. Auch sonst sind keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass in der Erklärung ein hiervon abweichender, engerer Zweckbegriff verwendet worden wäre. Unionsrecht steht der Inanspruchnahme des Verpflichtungsgebers nicht grundsätzlich entgegen. Die Erstattungsforderung ist im konkreten Fall auch nicht unverhältnismäßig.

 

Urteil vom 26. Januar 2017 – BVerwG 1 C 10.16 –

Vorinstanz:

VG Düsseldorf, 22 K 7814/15 – Urteil vom 01. März 2016 –

Weitere Infos/ Hintergründe:

https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/hannover_weser-leinegebiet/Fluechtlingsbuergschaften-Gericht-gibt-Helfern-Recht,buergen104.html:

http://www.badische-zeitung.de/deutschland-1/wie-lange-muessen-buergen-fuer-fluechtlinge-zahlen–148800313.html

http://www.sueddeutsche.de/politik/fluechtlingshelfer-die-gute-tat-kann-teuer-werden-1.3642469