Flüchtlinge tappen in Abmahnfallen

Smartphones in Berliner FlüchtlingsheimQuelle: http://www.spiegel.de/netzwelt/web/fluechtlinge-tappen-in-abmahnfallen-a-1080499.html

SPIEGEL ONLINE
04. März 2016, 06:32 Uhr

Tauschbörsen
Flüchtlinge tappen in Abmahnfallen

Er hatte einen Spielfilm per BitTorrent heruntergeladen – dann kam die Abmahnung: Ein Flüchtling, der in Hannover lebt, soll 815 Euro wegen eines illegalen Downloads zahlen. Kein Einzelfall.

Darüber, ob und inwiefern Flüchtlinge der deutschen Wirtschaft helfen, wird seit Monaten diskutiert. Dem umstrittenen Wirtschaftszweig der Massenabmahner zumindest bescheren sie offenbar die Aussicht auf Mehreinnahmen.

Die Computerzeitschrift „c’t“ berichtet in ihrer aktuellen Ausgabe (Heft 6/2016), dass viele Flüchtlinge, ohne es zu wissen, Urheberrechtsverletzungen begehen. Damit machten sie sich mittlerweile zum Ziel für Abmahnanwälte. Mehrere spezialisierte Rechtsanwälte hätten dem Magazin berichtet, dass sie in zunehmendem Maße solche Fälle auf den Tisch bekommen.

„Viele Flüchtlinge wissen nicht, dass zum Beispiel das Herunterladen von Filmen aus Tauschbörsen illegal ist und in Deutschland hohe Geldforderungen zur Folge haben kann“, erklärt Redakteur Holger Bleich das Problem, das aus seiner Sicht auch eine moralische Komponente hat: „Sollen die meist nahezu mittellosen Flüchtlinge de facto bestraft werden, obwohl sie nicht wissen, dass sie illegal handeln?“

Im Artikel der „c’t“ wird unter anderem der Fall eines syrischen Flüchtlings aus der Nähe von Hannover geschildert, der 815 Euro zahlen soll, weil er per BitTorrent einen Spielfilm heruntergeladen hatte. Auch für den Nachbarn des Flüchtlings sei die Situation unangenehm geworden, er hatte dem Syrer einen Zugang zu seinem WLAN gegeben.

Abmahnungen einer Münchner Kanzlei

Bei den „c’t“ vorliegenden Fällen, deren genaue Zahl nicht genannt wird, sollen die Abmahnungen durchgehend von der Kanzlei Waldorf-Frommer aus München stammen. Sie vertrete mehrere große Filmvertriebe, schreibt das Magazin, im genannten Fall die 20th Century Fox Home Entertainment.

Auf eine „c’t“-Anfrage zum Thema habe die Kanzlei geantwortet, ihre Mandaten könnten zum Zeitpunkt des Versands einer Abmahnung nicht wissen, welchen sozialen oder wirtschaftlichen Hintergrund der jeweilige Anschlussinhaber hat: „Sobald uns glaubhaft kommuniziert wird, dass es sich um einen Härtefall handelt, nehmen wir darauf angemessen Rücksicht – bis hin zum Totalerlass der Forderung.“

Vorsicht bei Tauschbörsenprogrammen

Neben den Flüchtlingen will „c’t“ mit seiner Berichterstattung auch Helfer aufklären: „Falls Sie als Anschlussinhaber Flüchtlingen Internetzugang gewähren, weisen Sie sie auf die spezifische Rechtslage in Deutschland hin“, rät Holger Bleich. „Denn als Betreiber des WLAN wird man hierzulande für Rechtsverletzungen, die über diesen Zugang stattfinden, zur Verantwortung gezogen.“

Zur besondere Vorsicht rät „c’t“ bei Tauschbörsenprogrammen, bei denen Musikdateien und Videos nicht nur heruntergeladen, sondern auch noch automatisch weitergegeben werden.

Dass Flüchtlingen ein unangenehmes Aufeinandertreffen mit Abmahnanwälten bevorstehen könnte, hatte man bei der Verbraucherzentrale Hamburg schon vergangenes Jahr befürchtet. Die Zentrale stellte daher eine Infoseite mit dem Titel „Flüchtlinge: Informationen zum Urheberrecht“ ins Netz. Auch darauf heißt es, vielen Flüchtlingen sei nicht klar, welche kostspieligen Folgen ein illegaler Download in Deutschland haben kann: „Wie auch, wenn selbst viele Deutsche in Sachen Urheberrecht nicht durchsehen“.

Auf Nachfrage bei der Verbraucherzentrale hieß es am Donnerstag, aktuell seien Abmahnungen für Flüchtlinge kein größeres Thema. „Wir glauben aber, dass das langfristig zum Problem wird“, sagt Juristin Julia Rehberg. Abmahnungen würden schließlich meistens erst einige Monate nach den eigentlichen Vorfällen verschickt.

Dass Flüchtlinge, die in Deutschland ankommen, internetfähige Geräte besitzen, ist nicht ungewöhnlich. Es ist auch kein Zeichen von Luxus. Ihr Smartphone ist häufig eines der wichtigsten Besitztümer, das sie aus ihrer Heimat mitnehmen. Sie benutzen es, um auf der Flucht zu navigieren und mit der Familie Kontakt zu halten.

mbö